Kapitel 12: Das erste Mal…
Meine große Schwester hat ihr Elektro-Auto nur wenige Wochen nach mir bekommen. Andere Marke, anderer Händler aber ähnlich geräumig. Ich hatte diesen Typ auch im Blick, allerdings hätte ich im Kofferraum nur entweder Gepäck ODER Kinderwagen Platz gehabt – das war einfach zu klein.
Jetzt hat sie zu Hause aber im Moment keinen Platz für das Auto, denn die Garage wird gerade saniert. Danach gibt es dafür eine schöne Ladestation in der Garage. Bis dahin muss sie so über die Runden kommen. Bei ihrer Kilometerleistung ist das auch nicht weiter schwierig, denn sie kommt mehr als 2 Wochen mit einer Akkuladung aus und dazwischen hat sie ja ihren Bruder.
Ihre Kinder sind begeistert, denn das neue Auto hat ein super Panoramadach und ein paar Funktionen, die sie von ihrer uralten Familienkutsche nicht gewohnt waren. Die Große war schon bei der Probefahrt davon begeistert, dass der Radio jetzt endlich anzeigt, welches Lied gerade läuft. Herrlich, wie leicht Kinder zu begeistern sind, oder?
Ihr Mann ist da etwas skeptischer. Ich weiß nicht, ob er überhaupt schon selbst mit dem neuen Auto gefahren ist. Viel zu viele Knöpfe. Und dann auch noch Automatik. Was macht man denn da mit dem linken Fuß? Und überhaupt auch noch mit Strom. Das ist ihm, glaube ich, viel zu gefährlich. Deshalb hat er vermutlich auch dafür gesorgt, dass sie das Auto nicht am Tag vor ihrem Familienurlaub in Kärnten abholen. Obwohl es bei ihrem Hotel sogar eine Lademöglichkeit gegeben hätte. Meine Schwester hat das vor Ort dann erkundet – schließlich will sie ja wissen, was ihr künftig blüht…
Nun haben sie also das neue Elektroauto. Und die ersten Kilometer fühlen sich sehr gut an. Sagt zumindest meine Schwester. An die elektronischen Helferlein muss sie sich noch gewöhnen. Das wäre ihr wohl auch bei einem neuen Verbrenner so ergangen. Und angenehm leise ist das Auto, meint sie. Sonst kann sie jetzt nichts über das Auto sagen.
Schade, schon wieder nur ein „jo, passt eh“ anstatt ein „wow, cool, nie mehr etwas anderes, so genial…“ Freudenschrei. Ist ein Elektroauto also wirklich nur ein Auto, mit dem man eine grüne Nummerntafel bekommt? Ja eh, wenn da nicht das Laden wäre…
Es kommt dann nämlich der Tag, an dem sie mit ihrem Mann ausnützen möchte, dass ihre Kinder auf Ferienlager sind. Also schnell für ein paar Tage Urlaub zu zweit. Aber vorher soll das Auto vollgeladen sein. Dann kommen sie nämlich fast bis ans Ziel. Ohne Zwischenstopp.
Rechnen wir nach: Die Strecke ist fast 450 km. Ihr Auto kommt laut Herstellerangaben „360 bis 520 km“ weit. Mit der Anzeige in ihrem Auto wären es 490 km gewesen. Das würde ich jetzt – egal wie – nicht in einem durch fahren. Denn 10% will man ja immer noch Restkapazität haben. Und wenn die 490 km stimmen, dann ist das mit 10% Restkapazität verdammt eng. Und sie fährt ja über das große deutsche Eck. Maximalgeschwindigkeit ausprobieren und so. Da steigt mit Sicherheit der Verbrauch, und dann glaube ich eher an die 360 km Reichweite als an die bisher angezeigten 490 km.
Also in jedem Fall vor dem Losfahren schnell noch vollladen. Schnell war jetzt das Thema. Denn bei mir kann sie nur mit AC laden, sie müsste also das Auto bei mir über Nacht stehen lassen, und überhaupt wäre ihr das zu kompliziert. Also nützen wir den Schnelllader in Wörgl. Mitten im Zentrum, ein paar Minuten zu Fuß von meiner Schwester entfernt. Manche wären glücklich, überhaupt einen Parkplatz in dieser Entfernung zu haben.
Zur Vorsicht begleite ich sie. Damit sie nicht die Nerven wegwirft, wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert. Und man liest ja in sämtlichen Foren, dass das Laden immer noch ein Problem ist. Aber ich bin zuversichtlich: Obwohl es auch für mich das erste Mal ist, ich bin ja schließlich Techniker. Wenn es Otto-Normalverbraucher schafft, dann ich doch erst recht, oder?
Nein. Leider muss ich diese Berichte bestätigen. Meine Schwester wollte das Ad-hoc-Laden probieren. Das sollte bei jeder Ladestation funktionieren, die öffentlich zugänglich ist. Denn diese sind in der Regel auch (von der EU) gefördert, und dann müssen sie das auch können.
Unter Ad-hoc-Laden versteht man, dass man ohne eine spezielle App oder Karte zur Ladestation hinfahren und zum Beispiel via Kreditkarte laden kann. Bei der Ladestation in Wörgl ist es so, dass man einen QR-Code scannt und damit auf eine Website geleitet wird. Dort gibt man seine Kreditkarte an und die Ladestation wird freigeschaltet. Theoretisch.
Dazu muss man aber zuerst den richtigen QR-Code finden. Ich habe mittlerweile Ladesäulen gesehen, die 4 verschiedene QR-Codes aufgeklebt hatten. Zum Glück sind es bei unserer nur 2 verschiedene. Klar, dass wir zuerst den falschen gescannt haben – der war nur die Ladepunktnummer und die braucht man nur mit einer entsprechenden App. Also den zweiten versucht, Kreditkartendaten eingegeben und bestätigt. Das war einfach.
Und dann warten. Nach 3 Minuten haben wir abgebrochen. Neuerlicher Versuch. „Ladepunkt ist belegt“ wird jetzt angezeigt. Ja, wir stehen ja da… Also abstecken, kurz warten, bis die Ladestation das registriert hat, dann nochmals…
Nach dem dritten Versuch reicht es mir. Ich zücke meine Karte. Jene, die mir beim Abholen meines Stromers vom Verkäufer aktiviert wurde. Tief durchatmen. Auto neuerlich anstecken. Karte an den Scanner halten. Es blinkt etwas. Und dann hört man einen Lüfter bei der Ladesäule anlaufen. Und das Auto lädt.
So einfach sollte es doch sein, oder? Nach knapp 40 Minuten war das Auto von etwa 30% auf 100% geladen. Wie zu erwarten war. Bei 50 kW Ladeleistung. Also steht dem Urlaub meiner Schwester nichts mehr im Wege.
Aber die Überraschung kommt erst…